"So ein Theater!", 2021:
Spielerisch versetzen sich Demenzerkrankte in andere Rollen - und finden so ein Stück weit zu sich selbst. Ein Projekt der Alzheimer Gesellschaft schenkt ihnen und ihren Angehörigen für ein paar Stunden eine unbeschwerte Zeit.
Von Christina Seipel Als sich Gerhard die weißen Engelsflügel aus dem Theaterkoffer vor die Brust spannt und sich so seiner Frau zeigt, fängt diese zu kichern und giggeln an. "Du", sagt Rosemarie in gespielt mahnendem Tonfall und strahlt dabei über das ganze Gesicht. Ein anderes Mal stopft sich Gerhard mit verschmitztem Grinsen einen goldenen Christbaumstern unter seinen Pulli, als ob er ihn stibitzen wollte. Auch das bringt Rosemarie zum Lachen.
Wenn sich ihr 87-jähriger Mann beim gemeinsamen Theaterspielen in den Räumen der Alzheimer Gesellschaft München (AGM) an der Josephsburgstraße 92 wieder einmal zum Clown macht, lebt die Seniorin förmlich auf. Die Vertrautheit, Nähe und Zweisamkeit, die das Ehepaar aus Trudering dabei ausstrahlt, ist in den vergangenen Jahren sehr in den Hintergrund gerückt. Mit der Diagnose Demenz änderte sich nicht nur das Leben der 80-Jährigen drastisch, sondern auch das ihres Mannes Gerhard, der sie seither betreut und pflegt. Beim spontanen Theater, einem neuen Kurs, den die AGM in Kooperation mit der Alzheimer Gesellschaft im Landkreis München (AGLM) anbietet, erleben beide eine unbeschwerte Zeit. Gemeinsam Spaß haben ist auch eines der Ziele des Konzepts, das Theaterwissenschaftlerin und Kursleiterin Kerstin Müller-Römer gemeinsam mit Denise Buss von der AGLM erarbeitet hat. An acht Terminen haben die insgesamt sieben Teilnehmer - vier Erkrankte und drei Angehörige - Gelegenheit, durch verschiedene Übungen mit Körper, Stimme und Ausdruck ihre eigene Kreativität spielerisch zu erleben. Bewegungsübungen, Pantomimen- und Rollenspiele sollen die Emotionen der Demenzerkrankten und ihrer Angehörigen anregen und ihnen neue Impulse geben. |
Jede Stunde findet unter einem anderen Motto statt
Wenn die kognitiven Fähigkeiten nachlassen, steigt die Emotionalität, weiß Iris Gorke, Sozialpädagogin und Beraterin bei der AGM. Das spontane Theater biete die Möglichkeit, über die Gefühlsebene einen Zugang zu den demenzerkrankten Menschen zu finden. Im Fokus des Kursangebots stehen ein "Sich-Verwandeln-Dürfen" und die eigene Selbstentfaltung. "Es ist ein sehr sinnliches Theater", erzählt Kursleiterin Müller-Römer, die sich schon seit mehr als zehn Jahren dem Improvisationstheater verschrieben hat. Jede Stunde findet unter einem anderen Motto statt. Nach Zirkus, Farben, Dschungel und Herbst hat sie an diesem Freitag alles zum Thema Weihnachten in ihren kleinen Theaterkoffer gepackt. Der Reihe nach werden Christbaumkugeln, Geschenkpäckchen, Tannenzweige und Lichterketten zu Requisiten, die im Spiel zuweilen auch eine völlig andere Bedeutung finden. Die Kerze etwa wird zum Deo, die Christbaumkugel zum Ball und die Lichterkette zu einer Halskette umfunktioniert. Die Theaterwissenschaftlerin staunt immer wieder, wie die Menschen beim freien Theaterspiel aus sich herausgehen: "Der Effekt ist Wahnsinn." Als Teil der Gruppe sind alle gleich. "Es gibt kein richtig oder falsch", betont Müller-Römer. Im geschützten Raum der AGM können sich die Teilnehmer frei bewegen und ihre Fassaden fallen lassen. "Pflegende Angehörige lernen dabei, die Betroffenen besser zu verstehen und zu akzeptieren", sagt Iris Gorke. Einige Zeit alle Zwänge hinter sich lassen zu können - das ist reizvoll Wie wichtig es ist, sich auszuleben und seine Gefühle offen auszudrücken, wissen auch Christina und ihr Mann Michael, der vor vier Jahren die Diagnose Demenz erhielt. "Es ist der Moment, den man hier lebt", sagt die 62-jährige Schwabingerin. Anders als in der Öffentlichkeit, die nicht immer Verständnis für das manchmal doch etwas andere Verhalten ihres Mannes zeige, könne sich der extrovertierte 77-Jährige hier, losgelöst von gesellschaftlichen Zwängen, frei entfalten. "Das spontane Theaterspielen erhöht die Lebensqualität der Teilnehmer immens", berichtet Iris Gorke. Besonders wichtig sei dabei die soziale Interaktion. Denn: "Der Alltag mit einem Demenzerkrankten ist anstrengend und herausfordernd." Angehörige und Erkrankte zögen sich daher oftmals zurück und lebten isoliert von ihrem Umfeld. "Man sieht hier förmlich, wie sie aufblühen." Als Michael den goldenen Christbaumstern aus dem Theaterkoffer bekommt, hält er ihn hoch über den Kopf und stimmt spontan das Lied "Oh, du Fröhliche" an. Wer will, singt mit. "Zwei Stunden gelebte Zeit", so hatte eine Teilnehmerin den Kurs einmal zusammengefasst. aus: Süddeutsche Zeitung, 20. Dezember 2021
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"Aus dem Stegreif auf Unerwartetes reagieren", 2020:
aus: HALLO Münchner Südosten, 19. Dezember 2020
hallo-wochenende-muenchner-suedosten-19.12.2020[2].pdf | |
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"Die Drama-Queen", 2016:
aus: HALLO Münchner Südosten, 04. Juni 2016
"Neue Schatten über Millsbury", 2013:
aus: Münchner Merkur, April 2013
"Spontan in jeder Beziehung", 2014:
Impro-Theatergruppe: Ein Abend zum Lachen
Ottobrunn - Ein Paar unterhält sich im Gehen. Er will zum Fußball, sie will mit ihm was unternehmen. Beide durchquerten den voll besetzten Raum, nahmen vorne auf der Bühne Platz und richteten den Blick ins Publikum. „Wieso schauen die uns alle so an?" fragt die Frau und mutmaßt, sie seien plötzlich und unerwartet Zuschauer eines Theaterstücks geworden, und es sitze vermutlich eine „große Impro-Truppe" vor ihnen. Nach und nach kamen andere Personen dazu: Eine selbst ernannte Schauspielerin etwa, die sich mit dem großen Star George „Spontani, oder wie der heißt“, treffen will und bei dem Fußballfan auf dem Schoß landete, oder ein Rolling-Stones-Fan, auf der Suche nach seinen Idolen und „der Riesenparty mit Massenbesäufnis im Hanns-Seidel-Haus“. Die eine ging, der andere kam, blitzschnell wechselten die Szenen. Willkommen im Improvisations-Theater! Nach einer Krimiaufführung in Neubiberg standen die Akteure der Improvisations-Theatergruppe der Volkshochschule Südost in Ottobrunn auf der Bühne und zeigten, wie viele Ideen sie haben. „Spontan in jeder Beziehung“ lautete das Motto des Abends, und es ging, wie Kursleiterin Kerstin Müller-Römer zu Beginn erläuterte, um alle möglichen Beziehungen. Die Ottobrunnerin, die teilweise selbst mitspielte und auch Moderatorin war, konnte sich bei der Aufführung auf eine schlagfertige, lustige und konzentrierte Truppe verlassen. […] Im Impro-Theater wurde es nicht langweilig, eine Szene folgte auf die nächste und das Publikum durfte bei einigen Stücken Impulse geben und das Spiel aktiv mitgestalten. So wurde deutlich, dass die Theatergruppe „ohne Netz“ und eben improvisiert arbeitete, denn, was gespielt werden sollte, erfuhr sie nur wenige Sekunden, bevor die Moderatorin den Countdown herunterzählte: „5-4-3-2-1 - los“. |
Und so verfrachteten die Zuschauer die Darsteller, die meist als Paare auftraten, ins Flugzeug, in eine Berliner Spielbank oder in den Zoo. Sie gaben ihnen Namen wie Mandy und Kevin oder Theobald und Josefine. Es brauchte nur wenige Requisiten - einen Hut, eine Federboa, eine Tasche - die am Bühnenrand lagen, und die sich die Frauen und Männer nach Belieben aussuchen konnten. Wie Gerüchte entstehen, zeigten die Darsteller eindrucksvoll, auch hier halfen die Zuschauer mit. Die Kursleiterin ging mit einem Mikro durch den Saal und erfragte zwei Vornamen, wollte das Urlaubsziel einer Besucherin wissen, und das schönste Ferienerlebnis einer anderen. Aus diesen Angaben machte Müller-Römer eine kleine Geschichte, die ein Schauspieler dem nächsten erzählte - und die Gerüchteküche begann wie wild zu brodeln.
Mit einem Element des Impro-Theaters, dem Einfrieren, Erstarren-Lassen einer Szene, genannt „Freeze“, lässt sich dem bereits Improvisierten eine Wendung geben. Kerstin Müller-Römer gab also die Anweisung „Freeze“, und die Darsteller hielten inne. „Die Szene nimmt ein abruptes Ende. Wodurch?“, fragte sie ins Publikum. „Absturz“, befand ein Zuschauer, und das Paar, das gerade im Flugzeug anbandelte, landete in Verrenkungen auf dem Boden. Wunderbar war das ABC-Spiel, bei dem das Publikum den Ort - Fußballstadion - vorgab: [Die Akteurinnen…] begannen jeden neuen Satz mit dem nächstfolgenden Buchstaben aus dem Alphabet. Das ging so ideenreich und Schlag auf Schlag vor sich, dass man glauben konnte, es sei einstudiert. Die Gruppe brachte die Zuschauer zum Staunen angesichts ihres Talents, und was den Abend besonders machte: Es wurde viel gelacht. (…) |
aus: Merkur.de, 11.11.2014